Schmerz möchten wir normalerweise vermeiden und nicht spüren. Unsere Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, ist jedoch überlebenswichtig. Akuter Schmerz macht uns aufmerksam und bringt uns dazu, uns aus der Gefahrenzone zu bewegen. Auch wenn er länger anhält oder wiederkehrend ist, kann er uns auf Störfaktoren aufmerksam machen.
Je länger jedoch ein Schmerz anhält, desto schwieriger wird es meist, ihn ursächlich zu lösen. Das kann so weit gehen, dass sich der Schmerz verselbstständigt und nicht mehr auf ein Problem hinweist, sondern zum eigentlichen Problem wird.
In Deutschland sind etwa 17% der Bevölkerung von chronischen Schmerzen betroffen.
Schmerzentstehung
Ein Schmerzreiz kann durch chemische, thermische oder mechanische Einflüsse ausgelöst werden und wird über unser Nervensystem ins Gehirn weitergeleitet. Die eigentliche Schmerzempfindung entsteht dabei erst durch die Verarbeitung im Kortex. Im sog. Homunculus wird der Reiz einer bestimmten Region zugeordnet („mein Ohr tut weh“). Im Frontalhirn wird er mit früheren Erfahrungen abgeglichen, eingeordnet („so wie die Mittelohrentzündung“) und bewertet („gut behandelbar“).
Die Schmerzintensität wiederum basiert auf der Verarbeitung im limbischen System, dem Bereich, der auch für unsere Emotionen zuständig ist. Ängste können Schmerzen verstärken (Nocebo-Effekt), und positive Emotionen wie Vertrauen oder Hoffnung können Schmerzen lindern (Placebo-Effekt).
Die Intensität des empfundenen Schmerzes korreliert nicht unbedingt mit dem Ausmaß der somatischen Schädigung. Schmerzen können auch auftreten, ohne dass feststellbare Gewebeschäden vorliegen. Sie sind dann trotzdem real.
Parallel zum
Schmerz wahrnehmenden System gibt es auch ein schmerzhemmendes System, welches insbesondere in Stresssituationen, z.B. nach einem Unfall, aktiv ist.
Dieses kann auch durch konkurrierende Sinnesempfindungen aktiviert werden. Auf diesem Wege kann das Pusten, das wir vor allem anwenden, wenn Kinder sich weh getan haben, tatsächlich schmerzlindernd wirken.
Unsere
Schmerzrezeptoren sind bei geschädigtem oder entzündetem Gewebe besonders aktiv. Wenn ein Schmerzreiz wiederholt ans Gehirn geleitet wird, verstärkt sich diese Bahn und der gleiche Reiz wird leichter übermittelt. So entsteht eine Sensibilisierung. Auf diesem Wege kann es auch zu einer Chronifizierung von Schmerzen kommen.
Chronischer Schmerz und seine Auswirkungen
Während bei akuten Schmerzen meistens eine behandelbare Ursache gefunden werden kann, haben sich chronische Schmerzen oft schon auf diesem Wege „verselbstständigt“. So ergibt sich für die Betroffenen häufig eine doppelt belastende Situation: die Schmerzen an sich und das oftmals fehlende Verständnis, das auch mit anderen, nicht sichtbaren Leiden einhergeht, wie z. B. Depressionen. Wenn keine somatische Ursache gefunden werden kann, liegt es wohl im Nervensystem und von dort ist der Schritt zu „psychosomatisch“ oder gar „psychisch bedingt“ ein kleiner. Damit ist natürlich niemandem wirklich geholfen.
Zusammen mit der Erschwerung von alltäglichen Tätigkeiten aufgrund der Schmerzen beeinträchtigt dies oft das soziale Leben von Schmerzpatienten. Der durch Schmerzen gestörte Schlaf wirkt sich zusätzlich negativ auf das Wohlbefinden und die Gesundheit aus. Auf Dauer können Depressionen und Suchterkrankungen die Folge sein, bis dahin, dass das Leben nicht mehr erträglich scheint.
Chronische Schmerzen treten häufiger bei Frauen auf. Es wird angenommen, dass hormonelle, genetische und soziale Faktoren hierbei eine Rolle spielen.
Ursachenfindung bei chronischen Schmerzen
Auch wenn nicht immer eine spezifische Ursache gefunden werden kann, sollte die Suche danach an erster Stelle stehen. Für die Betroffenen bedeutet eine feststellbare Ursache häufig auch eine Validierung ihres Leidens, weil endlich bewiesen ist, dass sie sich es „doch nicht alles nur einbilden“. Schmerz ist subjektiv und real. Das hat mit Einbildung nichts zu tun. Außerdem birgt eine Diagnose auch die Möglichkeit einer spezifischeren und effektiveren Therapie.
Da frauenspezifische Gesundheitsthemen in der Medizin lange vernachlässigt wurden, ist es kein Zufall, dass gerade Frauenleiden oft erst nach einer langen Odyssee diagnostiziert werden. Ein typisches Beispiel für eine spät gestellte Diagnose ist Endometriose, da die damit verbundenen Schmerzen häufig als „normal“ eingestuft werden und nicht weiter geschaut wird. Mehr als 10% der Frauen sind hierzulande von Endometriose betroffen. Eines der Leitsymptome sind zyklusassoziierte Schmerzen, die oft so stark sind, dass die Frauen an diesen Tagen nicht oder nur mit starken Schmerzmitteln überhaupt funktionsfähig sind.
Eine andere Erkrankung, das PCO-Syndrom, wird vor allem bei nicht übergewichtigen Frauen oft übersehen. Ein weiteres Beispiel für unterdiagnostizierte Leiden ist die Vulvodynie, von der schätzungsweise 5-10% der Frauen zumindest einmal in ihrem Leben betroffen sind. In der ICD10 ist die Vulvodynie noch nicht mal aufgeführt. In der ICD 11 taucht sie jetzt erstmals auf. Bis zur Diagnosestellung vergehen oft Jahre.
Erkrankungen, von denen Frauen häufiger betroffen sind, sind natürlich nicht auf den Bereich der Gynäkologie beschränkt. Schmerzhafte Leiden wie Kiefergelenksdysfunktion, Fibromyalgie, Arthrose, Kreuzschmerzen, Migräne und Reizdarmsyndrom treten bei Frauen wesentlich häufiger auf.
Seltenere Ursachen
Wenn die häufigen Ursachen ausgeschlossen sind, beginnt oft eine individuelle Detektivarbeit. Dabei können zurückliegende Infektionen, Neuropathien, Autoimmunerkrankungen, hormonelle Störungen, Unverträglichkeiten, Nährstoffmangel oder latente Entzündungen eine Rolle spielen.
Anhaltende Nervenschmerzen können z.B. auf eine Gürtelrose-Infektion ohne sichtbare Hautsymptome zurückzuführen sein (dann kann eine Behandlung mit Virostatika sinnvoll sein). Auch das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) kann immer wiederkehrende Schmerzen verursachen. Hier bringen Antihistaminika in der Regel mehr Linderung als Schmerzmittel.
Die Liste möglicher Ursachen ist lang. Um dies herauszufinden, bedarf es meist einer gründlichen Anamnese und weiterführender
Labordiagnostik.
Therapie akuter Schmerzen
Die richtige Therapie akuter Schmerzen kann die Entstehung eines chronischen Schmerzes über das Schmerzgedächtnis verhindern.
Leichtfertig ein Schmerzmittel zu nehmen, widerstrebt vielen von uns. Wir spüren, dass der akute
Schmerz eine gute Absicht hat, nämlich uns zu schützen und misstrauen den Nebenwirkungen von Medikamenten. Diese Nebenwirkungen sind vor allem bei der langfristigen Einnahme ein Problem. Wie die meisten Medikamente werden Schmerzmittel in ihrer Wirkung vor allem an Männern erforscht. Frauen zeigen oft eine andere Reaktion auf Schmerzmittel.
In vielen Situationen helfen auch „Hausmittel“: Wärme lindert Menstruationsschmerzen oder Verspannungen und Kälte beruhigt Entzündungen: Bei Kopfschmerzen hilft oft Pfefferminzöl auf die Schläfen aufgetragen oder Ruhe und frische Luft. Wenn die Kopfschmerzen durch niedrigen Blutdruck bedingt sind, kann
Koffein helfen und es ist natürlich wichtig, auf eine ausreichende Trinkmenge zu achten. Die Liste an akuten Schmerzursachen und passenden Heilmitteln ist lang.
In manchen Fällen kann es dennoch sinnvoll sein, ein Schmerzmittel zu nehmen, um den Teufelskreislauf aus
Schmerz, Verspannung, Stress und mehr
Schmerz zu durchbrechen. Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol wirken zudem entzündungshemmend und können z.B. bei akuten Ohrenschmerzen oder Entzündungen direkt die Ursache positiv beeinflussen.
Länger bestehende Schmerzen
Sofern es eine spezifische Ursache gibt, sollte diese natürlich behandelt werden. Schmerzen, die länger als drei Monate anhalten, gelten als chronisch. Entsprechend den Versorgungsleitlinien wird dann bereits eine interdisziplinäre
Diagnostik empfohlen. In den meisten Fällen ist ein multimodales Therapiekonzept, das auch psychologische Aspekte integriert, am effektivsten.
Das bedeutet im Einzelfall, einiges auszuprobieren und zu schauen, was in welcher Kombination am besten hilft. Neben konventionellen Therapielementen wie Schmerzmitteln, Koanalgetika, operativen Eingriffen, Botox (z.B. bei Migräne oder Bruxismus) und Physiotherapie kommen hier auch naturheilkundliche oder ganzheitliche Behandlungsansätze in Frage. Zu letzteren gehören z.B.
Akupunktur, Ernährungstherapie, Entspannungstechniken, Hypnose, Aromatherapie und kognitive Verhaltenstherapie. Sogar Lachen setzt Endorphine frei, die als natürliche Schmerzmittel wirken.
Die Details zur medikamentösen und multimodalen
Schmerztherapie sind zu umfangreich für diesen Artikel und jede*r Schmerzpatient*in sollte hierfür professionelle Ansprechpartner bzw. ärztliche Begleitung haben.
Nur auf zwei Therapieoptionen möchte ich hier etwas näher eingehen:
A) auf die
Akupunktur, weil sie sich bei Schmerzen bewährt hat, und
B) auf die Ernährungstherapie, weil ihr in der
Schmerztherapie noch so wenig Beachtung geschenkt wird.
Akupunktur in der Schmerztherapie
Akupunktur lindert Schmerzen, indem sie die Freisetzung von Endorphinen fördert und das oben genannte schmerzhemmende System und andere neurologische Mechanismen aktiviert. Der Wirkaspekt der Schmerzhemmung über konkurrierende Sinnesempfindungen greift sogar bei der Nadelung von Punkten, die eigentlich keine klassischen Akupunkturpunkte sind. Aus diesem Grund kann sogar diese Art der Scheinakupunktur bei Schmerzen Linderung bringen.
Darüber hinaus kann durch die gezielte Kombination von Akupunkturpunkten auch das zentrale Nervensystem beeinflusst werden, wie beispielsweise die Aktivität im Thalamus. Dies kann zu einer Verringerung der Schmerzempfindung und zur Reduktion von Entzündungen führen.
Akupunktur hat sich sowohl bei akuten als auch bei chronischen Schmerzen bewährt.
Ernährungstherapie
Eine entzündungshemmende
Ernährung, die auf möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln basiert und wenig Zucker enthält, kann besonders Schmerzpatienten zugutekommen. Als ergänzender Therapiebaustein kann diese Art der
Ernährung den Bedarf an Schmerzmitteln reduzieren und die Lebensqualität steigern. Entzündungsprozesse spielen in der Schmerzphysiologie eine wichtige Rolle. Zucker wirkt entzündungsfördernd, indem er die Insulinproduktion steigert, Insulinresistenz verursacht, schädliche Moleküle (AGEs) bildet und die Aktivität von bestimmten Immunzellen erhöht, die Entzündungsreaktionen verstärken. Eine Reduktion des Zuckerkonsums wirkt diesen inflammatorischen Prozessen entgegen und kann darüber schmerzlindernd wirken. Ebenfalls entzündungshemmend wirken eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und
Omega-3-Fettsäuren.
Darüber hinaus ist Ernährungstherapie immer individuell und erfordert eine individuelle
Diagnostik. Wenn Vitamin- oder Nährstoffmängel vorliegen, ist eine gezielte Substitution sinnvoll. So kann z.B. ein Vitamin-D-Mangel die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und sollte entsprechend behandelt werden. B-Vitamine können hilfreich sein bei neuropathisch bedingten Schmerzen, und Magnesium kann Migräne und Schmerzen, die mit Muskelverspannungen assoziiert sind, lindern.
Auch die
Diagnostik von Unverträglichkeiten und eine darauf basierende Diät können hilfreich sein.
Histamin kann z.B. bei erhöhten Spiegeln oder einer Intoleranz Schmerzen und Symptome verursachen. In diesen Fällen kann z.B. die Reduktion histaminreicher Lebensmittel die Beschwerden lindern. Letzteres wird auch bei Endometriose empfohlen und einige meiner Patientinnen berichten, dass eine histaminarme
Ernährung Ihre Endometriose-assoziierten Beschwerden spürbar lindert.
Fazit
Bei chronischen Schmerzen lohnt es sich, dran zu bleiben und weiter nach Lösungen zu suchen. Während bei akuten Schmerzen das Therapieziel die Schmerzfreiheit ist, macht es bei chronischen Schmerzen Sinn, nicht erst auf Schmerzfreiheit zu warten, sondern sich sein Leben mit oder trotz Schmerzen zurückzuerobern.